Anwenderbericht

Ein Besuch im Digitalisierungszentrum der Staatsbibliothek zu Berlin

Die digitale Erschließung der kulturellen und wissenschaftlichen Überlieferung gehört zu den wichtigen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft. Dabei leistet das Digitalisierungszentrum der Staatsbibliothek zu Berlin, das zu den modernsten seiner Art in Europa gehört, wertvolle Unterstützung.

Mit State-of-the-Art Scan- und Aufnahmetechnologien werden gemeinfreie Werke digital aufbereitet, umfassend bibliothekarisch erschlossen und im Internet frei zur Verfügung gestellt. „Wir geben der wissenschaftlichen Forschung neue Impulse, fördern die digitale Gedächtniskultur und tragen zum internationalen Wissensaustausch bei“, erklärt Andreas Mälck.

Vorteile für Bibliothek und Wissenschaft

Der Leiter der Abteilung Bestandserhaltung und Digitalisierung empfängt mich im Haus unter den Linden. Dort befinden sich im sanierten Teil des Altbaus, nah am neuen Lesesaal, die Räumlichkeiten des Digitalisierungszentrums, das seit September 2010 in Betrieb ist.

Andreas Mälck nennt im Einleitungsgespräch drei Aspekte, die beim Paradigmenwechsel von der Reprografie zur digitalen Reproduktion eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Für die Wissenschaft entsteht mehr Nutzen. Tiefer, einfacher und in größerer Breite als je zuvor werden die Sammlungen der Bibliothek zugänglich gemacht. „Eingebunden in moderne Online-Forschungsumgebungen können auf diese Weise andere Sammlungszusammenhänge erkannt und neue wissenschaftliche Fragestellungen erarbeitet werden“, erläutert Andreas Mälck.

Durch die gründliche Erschließung werden zudem einzelne Werke leichter und umfassender recherchierbar. Und schließlich gewinnt die Bibliothek durch die Digitalisierung Ersatzmedien in hoher Qualität, die sie den Benutzern für ihre Forschungen anbieten kann. Das schont die Originale, ein wichtiger Beitrag zur Bestandserhaltung.

Bücher nur einmal scannen

Behutsam legt der Scan-Operator eine christliche Schrift aus dem 18. Jahrhundert auf die schwarze Oberfläche des Zeutschel Aufsichtscanners. Eine Glasplatte deckt die Buchseiten ab. Präzise fährt der Scankopf nach unten und führt dabei die Lichtzeile über die Vorlage. In Sekundenschnelle werden die Seiten gescannt und sind sofort auf dem angeschlossenen Monitor sichtbar.

Ein weiterer Aufsichtscanner links daneben überführt gleichzeitig mongolische Landkarten aus der späten Qing-Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts in die digitale Welt.

Im Digitalisierungszentrum wird ein breites inhaltliches und zeitliches Spektrum bearbeitet: von preußischen Drucken des 17. Jahrhunderts bis zu arabischen Handschriften, von chinesischen Romanen der Mingzeit aus dem 16. Jahrhundert bis zu tibetischen Bittgebeten.

Entsprechend vielfältig und schwierig ist die Beschaffenheit der Vorlagen. Darunter sind unter anderem dicke Bücher, Landkarten, Bucheinbände aus Seide und sehr in Mitleidenschaft gezogene Werke.

Doch der Qualitätsanspruch bleibt stets der Gleiche: „Wir wollen Bücher nur einmal im Leben scannen und dabei ein sehr gutes Ergebnis erzielen, das dem Original sehr nahe kommt“, so Mälck.

Gescannt wird grundsätzlich in Farbe bei einer Auflösung von 300 dpi. Sollen Details in den Vorlagen, zum Beispiel bei Landkarten, gut sichtbar sein, erhöht sich die Scan-Auflösung auf bis zu 600 dpi. Neben einer sehr guten Abbildungsqualität legt man im Digitalisierungszentrum großen Wert auf eine hohe Farbtreue und eine schonende Behandlung der Vorlagen.

Umfangreiches Ausschreibungsverfahren

Nach ihrer vollständigen Digitalisierung erfolgt die ‚Anreicherung’ der Objekte mit zahlreichen bibliographischen und technischen Angaben sowie mit Daten zu ihrer inhaltlichen Struktur. Dabei werden möglichst viele Details einbezogen und so das Objekt als Ganzes sichtbar gemacht – erfasst werden auch die Ansichten von Einbänden, Buchrücken, Exlibris, sämtlichen Besitznachweisen, Frontispizien und anderem mehr.

Die Ausstattung des Digitalisierungszentrums wurde im Rahmen eines umfangreichen Ausschreibungsverfahrens ermittelt. Zum Einsatz kommen 13 Scansysteme, darunter neun Zeutschel OS 12000 und OS 14000 Aufsichtsscanner für Formate bis A0, zwei Scan-Roboter, ein V-Scanner, ein Grazer Buchtisch für besonders hochwertige Materialien sowie zwei Reader-Scanner zur Digitalisierung von Mikrofilmen. Für die Produktionssteuerung und Präsentation im Internet wird die Open Source-Workflow-Software Kitodo genutzt.

Restaurierung und Digitalisierung arbeiten eng zusammen

Inzwischen haben wir den nächsten Raum betreten. Dort lagern verschiedene Buchbestände in kleineren Kisten, versehen mit internen Laufzetteln, die die Rahmenbedingungen für den Scan genau festlegen.

„Zwischen den Arbeitsbereichen ‚Bestandserhaltung’ und ‚Digitalisierung’ besteht eine enge Zusammenarbeit und Verzahnung, so dass die Restauratorinnen und Restauratoren direkt in den Digitalisierungsworkflow eingebunden sind“, betont Andreas Mälck.

Diese überprüfen wöchentlich alle im Digitalisierungsbereich befindlichen Bücher und legen fest, welche Bedingungen beachtet werden müssen, damit ein Buch für die Digitalisierung freigegeben wird. Die Restauratoren geben den Scan-Operatoren aber auch Tipps und zeigen Lösungsvorschläge auf, wie man Problemen beim Scannen präventiv entgegenwirken kann. Und treten während eines Digitalisierungsvorgangs oder später Schäden auf, gelangen die Materialien umgehend in die Restaurierungswerkstatt.

Individuelle Auftragsdigitalisierung steigt an

Die Arbeit des Digitalisierungszentrums basiert auf drei Säulen. Der Bereich mit dem geringsten Umfang ist die Schutz- und Sicherheitsdigitalisierung herausragender Schätze aus den Sondersammlungen oder von beschädigten Bänden des Allgemeinen Druckschriftenbestandes.

Die zweite Säule ist die Digitalisierung von Benutzeraufträgen. „Bei der ‚Digitisation-on-Demand (DoD)’ ist es unser Ziel, einen guten Service zu bieten“, so Mälck. Dazu gehört eine kurze Bearbeitungszeit, die in der Regel drei Werktage beträgt, sowie die Bereitstellung der bestellten digitalen Abbildungen via Download, entweder als JPEG oder als Master-TIFF.

Der Benutzer zahlt dafür eine einmalige Gebühr. Wurden die Dateien heruntergeladen, sind die Abbildungen über den Web-Bereich ‚Digitalisierte Sammlungen’ der Staatsbibliothek zu Berlin kurze Zeit später allgemein zugänglich.

„Der Bedarf an individueller Auftragsdigitalisierung ist seit der Eröffnung des Digitalisierungszentrums stetig gestiegen und liegt heute bei 20 Prozent am gesamten Arbeitsaufkommen. Das Benutzer-Feedback ist sehr positiv, speziell was unsere Qualitäts-Standards betrifft“, erläutert Andreas Mälck.

Projektdigitalisierung stellt den größten Anteil

Der mit über 70 Prozent größte Anteil nimmt die Projektdigitalisierung ein, gefördert durch Drittmittel des Bundes, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und zum Beispiel der EU. Momentan laufen nach Angaben von Andreas Mälck zwischen sieben und zehn Projekte gleichzeitig.

Er nennt exemplarisch drei Projekte, die den besonderen Nutzen der Digitalisierungsaktivitäten für Wissenschaft und Gesellschaft verdeutlichen. So gehören zu den seltenen und besonders wertvollen Büchern, die derzeit in die Digitale Bibliothek aufgenommen werden, rund 15.000 im 17. Jahrhundert in Preußen hergestellte Drucke. Ein Drittel dieser Bücher ist im Alleinbesitz der Staatsbibliothek zu Berlin, deshalb ist deren detailgetreue Wiedergabe im Internet für die Forschung von unschätzbarem Wert.

Parallel dazu werden aus dem umfangreichen Bestand an Büchern aus dem 18. Jahrhundert 14.000 Titel digitalisiert und für die Recherche über das Internet aufbereitet. Die Arbeiten sind ein wichtiger Bestandteil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts VD18, mit dem ein Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhundert aufgebaut werden soll.

Insgesamt sehen die Planungen vor, 600.000 Werke digital zu erfassen und zu erschließen. Andreas Mälck: „Damit wird ein wichtiger Schritt getan, die Quellen zum Zeitalter der Aufklärung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.

Die Staatsbibliothek zu Berlin koordiniert zudem ein internationales Digitalisierungsprojekt mit dem Ziel, bis zum Jahr 2014, dem hundertsten Jahrestag des Kriegsausbruchs, rund 400.000 herausragende Quellen des Alltagslebens aus der Zeit des Ersten Weltkriegs im Internet frei zur Verfügung zu stellen.

Mit der ‚Europeana Collections 1914-1918’ schaffen 12 Bibliotheken aus ganz Europa ein digitales Gedächtnis für den Ersten Weltkrieg. Aus dem Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin werden rund 6.800 Objekte digitalisiert. Darunter sind etwa die Hälfte Bücher mit Titeln wie ‚Kochbuch für den Schützengraben’ und ‚Gemüsebau während des Krieges’ und die andere Hälfte Sondermaterialien wie Flugblätter, Musikalien, Handschriften, Fotos und Karten.

Hoher Durchsatz

Wieder zurück in den Produktionsräumen, herrscht zielstrebige Betriebsamkeit. An allen Scannern wird gearbeitet. Buch auf der Buchwippe platzieren, feinjustieren, Scan-Knopf drücken und das Ergebnis am Monitor überprüfen – jeder Handgriff geht hier nahtlos in den nächsten über.

Ein effizienter Ablauf ist für Andreas Mälck unabdingbar, um den eigenen hohen Ansprüchen auch gerecht zu werden. Die Auslastung bezeichnet er als sehr gut. Insgesamt sind 24 Mitarbeiter im Digitalisierungszentrum beschäftigt, 20 davon sind Scan-Operatoren.

Aktuell befinden sich über 35.000 Werke mit über 6 Millionen Abbildungen in den Digitalen Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin. „Je nach Art der Vorlagen beträgt der Durchsatz pro Monat etwa 200.000 Images“, so Mälck.

Die Staatsbibliothek zu Berlin erstellt momentan einen ‚Masterplan’ für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Dabei werden die inhaltlichen Schwerpunkte der Digitalisierungsaktivitäten definiert. In die Überlegungen eingebunden sind sowohl bibliothekarische Bedürfnisse als auch kulturelle und politische Highlights.

Um auch zukünftigen technischen Anforderungen gerecht zu werden, gehört der Ausbau der Hard- und Software-Lösungen für ihn zum laufenden Prozess. „State-of-the-Art muss unser Anspruch bleiben“.

Ich verlasse das Digitalisierungszentrum mit der Erkenntnis, dass in Berlin und anderswo aktiv und kompetent am Aufbau des ‚Kulturerbes 2.0’ gearbeitet wird. Bleibt zu hoffen, dass dieser Einsatz auch bald von der Politik gewürdigt wird. So geht die Deutsche Forschungsgemeinschaft von einem jährlichen Bedarf von zirka 30. Millionen Euro für die Digitalisierungsarbeit aus, gezahlt werden aber gerade mal 2,6 Millionen Euro.

Die Staatsbibliothek zu Berlin

Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ist die größte wissenschaftliche Bibliothek im deutschsprachigen Raum. Seit 1661 erwirbt und bewahrt sie Handschriftliches und Gedrucktes aus allen Wissenschaftsgebieten, allen Ländern und allen Sprachen. Mehr als 25 Millionen verschiedene Medien – Bücher, Handschriften, Autographe, Karten, Nachlässe, Einblattdrucke, Bilderalben, Schriftrollen, Zeitungen, Zeitschriften, Mikroformen, elektronische Ressourcen und anderes – werden hier aufbewahrt und erschlossen. Unter den besonderen Schätzen sind 80% des kompositorischen Nachlasses von J. S. Bach, die größte Sammlung von Mozart-Autographen und Beethovens Partituren der Sinfonien Nr. 4, 5, 8, und die als Weltkulturerbe anerkannte 9. Sinfonie, die größte hebräische Bibel auf Pergament sowie die einzige Miniaturenhandschrift des Nibelungenliedes. Die vielfältigen Dienstleistungen der Bibliothek stehen via Internet sowie an den zwei großen Standorten Unter den Linden und Potsdamer Straße/Kulturforum zur Verfügung.

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